Betriebswirtschaftliche Perspektive
Fotovoltaik-Freiflächenanlagen sind einmal im Rahmen des EEG mit 43 ct/kWh gestartet. Aufgrund einer gewaltigen Kostendegression liegen diese heute bei unter 5 ct/kWh. Auch bei Windenergie gab es eine beträchtliche Senkung der Gestehungskosten. Bei Anlangen an Land (Onshore) liegen die Kosten derzeit ca. zwischen 4 und 8 ct und Offshore zwischen 7 und 10 ct.
Ein neues Braunkohlekraftwerk braucht eine Größenordnung von gut 4 ct/kWh, um profitabel zu arbeiten; Steinkohle gut 6 ct. Wenn die Kraftwerke schon abgeschrieben sind, reicht weniger.
Wenn man sich also die reinen Gestehungskosten anschaut, dann könnte man den Eindruck gewinnen, dass Strom aus Wind und Sonne gegenüber einem neuen Kohlekraftwerk bereits (fast) betriebswirtschaftlich konkurrenzfähig ist. Die Betrachtung der reinen Gestehungskosten springt jedoch leider zu kurz. Gestehungskosten von z.B. 4 ct für Wind-Onshore bedeuten, dass der Anlagenbetreiber mit diesem Preis bei durchschnittlichen Betriebsstunden zurechtkommt. Die Stromhändler brauchen jedoch eine gesicherte Leistung zu jedem Zeitpunkt. Daher müssen diese nicht nur die 4 ct an einen Windanlagenbetreiber bezahlen, sondern müssen zusätzlich bei Speicherbetreibern dazukaufen. Für den Stromhändler ergibt sich also ein Mischpreis, der wohl deutlich höher ist, als wenn er seinen gesamten Strom bei einem Kohlekraftwerk einkauft, das prinzipiell immer den benötigten Strom liefern kann.
Gesamtgesellschaftliche (volkswirtschaftliche) Perspektive
Die Frage, ob 100% Strom aus erneuerbaren Energien einschließlich Speicher sich betriebswirtschaftlich rechnet, ist für uns als Gesellschaft jedoch die falsche Fragestellung. Gesamtwirtschaftlich ist entscheidend, wie die Rechnung aussieht, wenn man allen Energieträgern auch ihre externalisierten Kosten z.B. des Klimawandels zurechnet. Tut man dies sukzessive über einen wirksamen CO2-Preis, wird bei der Kohle schnell deutlich, wie teuer sie uns wirklich kommt. Der Punkt ist: wir müssen auf 100% EE-Strom umsteigen, auch wenn dieser betriebswirtschaftlich teurer sein sollte.
Wie hoch muss der CO2-Preis für eine Dekarbonisierung der Stromerzeugung sein?
Diese Frage kann man über die Zeit hinweg nicht so einfach beantworten, da wir heute nicht wissen können, welche Technologien uns wann zu welchen Kosten zur Verfügung stehen werden. Entscheidend ist, dass der CO2-Preis immer so hoch ist, so dass wir uns auf dem politisch entschiedenen CO2-Reduktionspfad befinden. Dann rechnet es sich auch, in Speicher als Geschäftsmodell zu investieren. Dann rechnet es sich auch, viele dezentrale Speicher, Erzeuger und auch abschaltbare Lasten in virtuellen Kraftwerken zu bündeln und damit auf dem Strommarkt aufzutreten. Auch Gaskraftwerke und Strom aus Biogasanlagen würden ebenfalls ihr sinnvolles Auskommen finden; vor allem wohl als Anbieter von Spitzenlast und Regelenergie. Sinken die betriebswirtschaftlichen Kosten des EE-Stroms weiter, braucht der CO2-Preis weniger hoch zu steigen.
Fossile Kraftwerke unterliegen dem EU-Emissionshandel. Daher ist es entscheidend, dass dort die Zertifikatemenge so festgelegt wird, dass diese Paris-kompatibel ist. Dann ergibt sich der notwendige CO2-Preis zur Einhaltung unserer CO2-Ziele durch Angebot und Nachfrage nach CO2-Zertifikaten. Hier finden Sie Details zum EU-Emissionshandel.
Was ist aus heutiger Sicht für die Zukunft sinnvoller: Markt, EEG oder wirksamer CO2-Preis?
Ob EE-Anlagenbetreiber ohne garantierte Einspeisevergütungen und Betreiber von Speichern ohne Subventionen nachhaltig kostendeckende Preise am Markt erzielen können, ist heute noch Spekulation.
Aber auch die Subventionierung von EE-Anlagen hat ihre Tücken. Z.B.: Sinkt die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen, weil z.B. EE ausgebaut werden, können die Weltmarktpreise fossiler Brennstoffe sinken und es kann zu einem Hase-und-Igel-Rennen mit ungewissem Ausgang kommen. Die staatliche Subventionierung der Alternativen müsste dann gegen sinkende Preise für fossile Brennstoffe ständig gegenhalten.
Es ist also keine sichere Dekarbonisierungsstrategie darauf zu hoffen, dass sich die Alternativen betriebswirtschaftlich (einmal) rechnen. Dafür gibt es kein Naturgesetz. Auch die dauerhafte Subventionierung der Alternativen ist aus unterschiedlichen Gründen nicht optimal. Ein wirksamer CO2-Preis ist dagegen eine relativ sichere und dabei flexible Dekarbonisierungsstrategie, da er das Übel an der Wurzel packt und sich technologie- und lebensstiloffen Alternativen aus eigener Kraft auf dem Markt behaupten können.
Natürlich kann der Einsatz von fossilen Brennstoffen zur Stromerzeugung auch einfach ab einem bestimmten Zeitpunkt verboten werden. Aufgrund der Budgeteigenschaft von CO2 kommt es aber weniger auf ein bestimmtes Ausstiegsdatum an, als auf die Menge an fossilen Strom, den wir in Zukunft noch produzieren. Die Paris-kompatible Begrenzung dieser Menge ließe sich viel eleganter über den Emissionshandel steuern als über Verbote. Durch eine Paris-kompatible Anhebung der EU-Ziele könnte über den EU-Emissionshandel das in Deutschland beschlossene Kohleausstiegsdatum 2038 daher (hoffentlich) bald Makulatur sein. Wenn der im EU-Emissionshandel unterlegte Emissionspfad Paris-kompatibel ist, dann könnten wir staatliche Einspeisevergütungen nach dem EEG langsam und mit Bedacht auslaufen lassen. Solange dies nicht der Fall ist, sind zusätzliche unterstützende Maßnahmen für EE-Strom weiterhin notwendig.
Andere Sektoren - Sektorenziele - Sektorenkopplung
Die hier aufgezeigte Argumentationskette bezüglich betriebswirtschaftlichem bzw. gesamtgesellschaftlichem Kalkül lässt sich sinngemäß auch auf andere Sektoren wie "Wärme" und "Mobilität" übertragen. Daher bietet sich ein sektorübergreifender CO2-Preis an, der auch dazu führt, dass dort zuerst CO2 eingespart wird, wo dies am kostengünstigsten möglich ist. Sogenannte Sektorenziele könnten sich dadurch erübrigen. Man kann sich auch fragen, wie sinnvoll Sektorenziele sind. Für die gesamten CO2-Emissionen gäbe es mit einem sektorübergreifenden CO2-Preis eine zentrale Steuerungsgröße. D.h., sind die Emissionen zu hoch - ist der CO2-Preis zu niedrig. Welche Steuerungsgröße haben wir, wenn die CO2-Emissionen z.B. im Verkehrsbereich zu hoch sind? Dann kann schnell die Ausrede kommen: "Wir haben ja alles probiert - mit einem breiten Instrumentenmix. Haben die Bahn mehr gefördert. Ein paar Radwege und Ladestationen gebaut etc. etc. - hat halt leider leider nicht gereicht. Wir bemühen uns weiter." Sektorenziele können also zur Verwässerung von Verantwortung führen (Verantwortungsdiffusion). Solange es allerdings keinen politisch starken sektorübergreifenden CO2-Preis gibt, werden Sektorziele weiter gebraucht.
Auch die Sektorenkopplung (u.a. vermehrter Einsatz von Strom in den Sektoren 'Wärme" und "Mobilität"), wird durch einen sektorübergreifenden CO2-Preis in einem sinnvollen Ausmaß gefördert. Zur Unterstützung der Sektorenkopplung kann es sinnvoll sein, den Strompreis z.B. von den Technologieanlaufkosten der EE (sehr hohe Einspeisevergütungen am Anfang) und den Industrieausnahmen zu entlasten, indem man diese Kosten statt über die EEG-Umlage sozial gerechter aus dem Bundeshaushalt finanziert. Es könnte auch sinnvoll sein, die gesamte EEG-Umlage aus dem Staatshaushalt zu finanzieren. Bereits heute werden Einnahmen aus dem nationalen Emissionshandel in den Bereichen Wärme und Mobilität zur Senkung der EEG-Umlage verwendet. Zumindest mittelfristig brauchen wir wohl jedoch eine Klimadividende, über die die gesamten Einnahmen aus einer CO2-Bepreisung ausgeschüttet werden, um breite Akzeptanz bei uns Bürgern auch für hohe CO2-Preise zu erreichen, die wir für die Dekarbonisierung brauchen werden.
Ziel könnte ein funktionierender EU-weiter Emissionshandel für alle CO2-Emissionen sein, dem ein Paris-kompatibler Emissionspfad zugrunde liegt.